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Überblick

Nichteheliche Kinder, die vor dem 01.07.1949 geboren waren, hatten nach der bislang gültigen Rechtslage grundsätzlich kein Erbrecht nach ihrem Vater und dessen Verwandten. Umgekehrt genau so: Auch der Vater des verstorbenen nichtehelichen Kindes konnte nicht dessen Erbe sein. Beide galten als "nicht verwandt" (Art. 12 § 10 NichtehelichenG von 1969; § 1589 BGB aF). Es gibt hier nur wenige Ausnahmen.

Diese Rechtslage hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluss vom 20.11.2003 - 1 BvR 2257/03 - als verfassungsgemäß abgesegnet.

Nach einem neuen Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (European Court of Human Rights - ECHR, application no. 3545/04) verstößt das ungleiche Nichtehelichenerbrecht in Deutschland gegen Art. 8 und Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). 

Presseerklärung des ECHR vom 28.05.2009

Die Entscheidung des ECHR hat immense Auswirkungen auf schon abgeschlossene Erbverfahren, die nach der bisherigen Rechtslage das Erbrecht des nichtehelichen Kindes nicht berücksichtigt haben.

Da ein Erbschein nie rechtskräftig wird, sind alte Erbfälle möglicherweise neu aufzurollen. Erben und Erbquoten können sich ändern. Erbscheine sind dann als unrichtig einzuziehen.

Dies führt unter Umständen dazu, dass ganze Nachlässe auch nach mehreren Jahrzehnten (teilweise) rückabgewickelt werden müssten.

Mit dem Zweiten Gesetz zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder vom 12.04.2011, BGBl. I, S. 615 hat der Gesetzgeber diese erbrechtliche Benachteiligung nichtehelicher Kinder für Sterbefälle aufgehoben, die sich ab dem 29.05.2009 ereignet haben und künftig ereignen.

Für Fälle davor soll es wegen des verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbots bei der oben dargestellten Altregelung bleiben. Dies haben der BGH bestätigt (Urteil vom 26.10.2011 - IV ZR 150/10), mit Absegnung vom BVerfG (Beschluss vom 18.03.2013 - 1 BvR 2436/11, 1 BvR 3155/11).

Ob dies angesichts neuerer Rechtsprechung des ECHR letzlich einer europarechtlichen Überprüfung Stand hält, bleibt abzuwarten. Entsprechende Verfahren werden derzeit erneut vom  BGH geprüft. Die Rechtslage ist daher nach wie vor offen.

In einer ersten Entscheidung hat jetzt der BGH am 12.07.2017 (IV ZB 6/15) bei Erbfällen vor dem 29.05.2009 für vor dem 01.07.1949 geborene nichteheliche Kinder ein Erbrecht bejaht.

Betroffene sollten zur Wahrung Ihrer Rechte entsprechende Rechtsmittel ergreifen. Dies gilt im übrigen nicht nur für die nichtehelichen Kinder selbst, sondern auch auch umgekehrt für den  Vaters als Erben beim Tod seines nichtehelichen Kindes.

Dies gilt auch wenn bereits anders lautende Erbscheine erteilt sind, da diese nicht in Rechtskraft erwachsen können und eine nachträgliche Änderung möglich ist.

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